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CoronAfrika: Serengeti & Co fehlen die Touristen

Guest User

Jählings menschenleer sind auch Afrikas wildreiche Schutzgebiete wie die weltberühmte Serengeti in Tansania. Kein Tourismus und keine Einnahmen mehr, stattdessen ein Virus bedingter Schockzustand, der die ganze Nation lähmt und für Fauna und Flora gefährlich zu werden droht.

Die Regierung reagiert mit wirren Signalen und sieht sich zudem mit verheerenden Regenfällen, aufkommendem Hunger und wieder wachsender Wilderei konfrontiert. Nach der Seuche wird nichts mehr wie vorher sein. Die Menschen aber helfen sich so gut es geht: Gesammelte Notizen, Ende April 2020.

Von Ruedi Suter – FSS

1. Mai 2020* – Sie ist so menschenleer, wie seit Jahrzehnten nicht mehr - die Serengeti, dieses «endlose Land», wie die Massai die weiten Ebenen nannten – lange noch bevor sie 1951 aus dem frisch gegründeten Nationalpark hinausgeworfen wurden.

An Weihnachten 2019 noch donnerten täglich zahlreiche Lastwagen, Busse und Geländewagen auf ihrer Hauptstrasse nach Seronera, dem über die Jahre zu einer Ortschaft angewachsenen Hauptquartier der Serengeti - mit Lodges, Wohnhäusern, Verwaltungs- und Lagergebäuden, Werkstätten, einem Institut, einer Garage und einem Flugplatz.

Wie aus einer längst vergangenen Zeit: Bewunderter, bestaunter und belästigter Elefant | © Foto Ruedi Suter

Wie aus einer längst vergangenen Zeit: Bewunderter, bestaunter und belästigter Elefant | © Foto Ruedi Suter

Overtourism - das war einmal

Abertausende von Touristinnen und Touristen waren 2019 angereist, um wenigstens einmal das «wahre Afrika» mit seiner faszinierenden Tierwelt und den weiten Landschaften zu erleben.

Man sprach von Overtourism, vom Dichtestress. Die Wildnis und ihre Reize seien tot, hiess es gar. Die zahlreichen Autos voll mit erlebnishungrigen Europäern, Amerikanern und Asiaten, welche – nur ein Beispiel – um Seronera einen erspähten Leoparden umzingelten, schienen bereits der niederschmetternde Beweis für Bernhard Grzimeks These in den 1950er-Jahren, dass auf Dauer «Kein Platz für wilde Tiere» (Buchtitel) mehr übrig bleiben werde, weil sich der Homo sapiens unaufhaltbar vermehre.

Aber plötzlich herrscht die Ruhe

Doch jetzt ist sie wieder zurück, unerwartet und radikal - die Menschenleere. Keine Wagenkolonnen, keine Touristen, kein Lärm, keine Abgase und keine Abfälle mehr. Leergefegt durch ein unsichtbares Wesen namens Sars-CoV-2. Abrupt hat es ab März den internationalen Tourismus zusammenbrechen lassen. Für Ostafrika wird sein Einbruch auf 97 Prozent geschätzt, gefolgt vom Sektor Logistik mit 75 Prozent. Weggefallen sind auch die internationalen Flüge, welche Tansania ab 11. April sperren liess.

Geniesst die verkehrsfreien Pisten: Jung-Löwe beim Wohlfühlen | © Foto Gian Schachenmann

Geniesst die verkehrsfreien Pisten: Jung-Löwe beim Wohlfühlen | © Foto Gian Schachenmann

Hotels wie Lodges, Camps wie Safari-Unternehmen schlossen – und plötzlich hatten die Wildtiere in den Nationalparks Ruhe vor den schaulustigen Zweibeinern. Beobachtet wurden sie bestenfalls noch von jenen paar wenigen Ausländern, die das Land nicht mit den letzten Linienjets fluchtartig verlassen hatten und als «Expats» die neue Ruhe geniessen wollten.

«Es ist sehr besorgniserregend»

Kein Tourismus heisst plötzlich auch keine Einnahmen mehr. Einnahmen, die dringend für das Land, aber auch für die Bewachung und den Unterhalt der fast zwei Dutzend Nationalparks benötigt werden. Einnahmen, die schon bislang nicht reichten, um alle Schutzgebiete wirklich effizient zu schützen.

«Es ist sehr besorgniserregend», schreibt uns Lorna Labuschagne aus Seronera. Sie und ihr Mann Rian halten im Ranger-Hauptquartier die Stellung als Serengeti-Projektmanager der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Als Paar gehören sie zu den erfahrensten Artenschützern Afrikas. Aber diese Situation haben beide noch nie erlebt.

Besorgniserregend sei, dass kein Geld mehr hereinkomme, mit der staatliche Schutzstellen wie etwa die tansanische Nationalparkbehörde Tanapa ihren Aufgaben nachkommen könne.

Flugplatz Seronera: Fehlende Touristen, verwaiste Infrastruktur in der Serengeti | © Foto Ruedi Suter

Flugplatz Seronera: Fehlende Touristen, verwaiste Infrastruktur in der Serengeti | © Foto Ruedi Suter

Wer zahlt die Löhne der Ranger?

Schwere Zeiten sieht auch Alex Rechsteiner auf den Artenschutz zukommen. Der Afrikadelegierte der Nichtregierungsorganisation «Freunde der Serengeti Schweiz» (FSS) lebt seit Jahrzehnten in Tansania. Die Seuche mit ihren Folgen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Wildschutz werde dem zurzeit auch politisch labilen Land mit einer neuen Armut und Arbeitslosigkeit noch schwer zu schaffen machen, ist Rechsteiner überzeugt. Grosse Sorgen bereitet ihm insbesondere die Vorstellung von kaum mehr verteidigten Nationalparks, weil die Finanzen fehlen.

Wer zahlt auf die Dauer die Löhne der Wildhüter? Wer ihr Essen, ihre Kleidung, ihre Apotheken? Wer unterhält die Rangerposten, wer bezahlt die Kommunikationsmittel, die Zelte, die Patrouillenfahrzeuge? Und wie sollen engagierte Männer und Frauen auf ihren oft weit abgelegenen Posten ihre Motivation behalten, wenn ihnen und ihren Familien das Notwendigste fehlt? Hier müssten Organisationen wie der FSS so gut wie möglich Hilfe leisten, sagt Alex Rechsteiner.

Keine Zweifel: Die tiefgreifende Weltkrise, die nun auch Tansania im Griff hat, wirft selbst im Busch existenzielle Fragen auf. Denn Ranger, die ums Überleben kämpfen, können zu den erfolgreichsten Wilderern mutieren. Ihr Wissen, wo die letzten Nashörner, die nächste Elefantenherde oder der Leopard gerade sind, ist in der Not für einen Familienvater mehr als Gold wert.

Gefährdete Löhne für einen gefährlichen Job: Tansanische Ranger | © Foto Ruedi Suter

Gefährdete Löhne für einen gefährlichen Job: Tansanische Ranger | © Foto Ruedi Suter

Schutzlosere Schutzgebiete in ganz Afrika

Aber auch so haben es die Ranger und Rangerinnen schwer. Die in Afrika von Tourismus durch das neue Corona-Virus leer gefegten Schutzgebiete sehen sich bereits mit wachsender Wilderei konfrontiert – eine in allen afrikanischen Ländern drohende oder bereits eingetretene Entwicklung.

In Südafrika und Botswana, so berichten Artenschutzorganisationen, konnten Ranger eine auffällige Zunahme abgeschlachteter Nashörner selbst in sonst relativ sicheren Tourismusgegenden nicht verhindern.

Die grosse Befürchtung aller Schutzgebietsverwaltungen: Nimmt die Tourismusindustrie nicht bald wieder Fahrt auf, werden Afrikas Wildtiere noch schneller verschwinden als es sich desillusionierte Artenschützende je vorgestellt haben.

Wassermassen wie vor 60 Jahren: Lake Natron im Serengeti-Ökosystem, April 2020 | © Gian Schachenmann

Wassermassen wie vor 60 Jahren: Lake Natron im Serengeti-Ökosystem, April 2020 | © Gian Schachenmann

Verheerende Regenfälle, drohende Heuschreckenschwärme

Erschwerend kommt die allgemein schwierige Situation in den einzelnen Ländern hinzu. Teile Ostafrikas werden – neben der Corona-Seuche – seit Ende 2019 durch riesige Heuschreckenschwärme und schwerste Regenfälle heimgesucht.

«Das haben wir noch nie erlebt!», berichten FSS-Vertraute aus dem tansanischen Arusha. «Lokale Gewitter mit noch nie gesehenen Blitzkadenzen oder kaum unterbrochene Wassermassen, die vom Himmel stürzen und Häuser und Hütten, Strassen und Brücken unterspülen oder wegreissen. Alles ist feucht, alles muffelt, nichts trocknet mehr.» Manche Familien hätten ihre ganze Habe verloren.

Vor jeder Hütte Wasser zum Händeschrubben: Die Botschaft ist durch in Tansania | © Foto Odilo Olido

Vor jeder Hütte Wasser zum Händeschrubben: Die Botschaft ist durch in Tansania | © Foto Odilo Olido

Alles schimmelt, auch die Vorräte

Notwendige Vorräte wie Mais und Mehl seien feucht geworden und entwickelten die ohnehin landesweit unterschätzten, gesundheitsgefährdenden Schimmelpilze (Aflatoxine).

Eine Frage der Zeit, bis sich der Hunger für alle sichtbar ausbreite, schätzt ein Tansanier mit dem Hinweis, die Auswirkungen des neuen El Nino hätten auch Seen wie Manjara, Natron und Victoria mit Wasser gefüllt, wie dies alte Landsleute vor 60 Jahren zum letzten Mal erlebt haben.

Abgeschiedene Orte könnten teils nicht mehr erreicht werden, weil die Pisten unter Wasser stehen und die Wagen versacken. Dies habe jedoch im Zusammenhang mit der Corona-Krise auch «Vorteile», berichtete uns via Mobiltelefon ein Kenner des Landes.

«Corona? Sie haben keine Ahnung im Busch»

Er fuhr letzte Woche mit dem Motorrad zum Oldonio Lengai, dem Heiligen Berg der Massai im Serengeti-Ökosystem am Natronsee. Die meisten Menschen in den abgelegenen Siedlungen hätten noch nie etwas von der Seuche gehört: «Sie haben keine Ahnung im Busch», sagte der Beobachter.

«Eher kleines Problem»: Corona-Wahrnehmung der Massai | © Foto Gian Schachenmann

«Eher kleines Problem»: Corona-Wahrnehmung der Massai | © Foto Gian Schachenmann

Und jene Massai, die informiert seien, meinten, dieses Virus sei für die Rindernomaden ein «eher kleines Problem», verglichen mit den anderen Gefahren und tropischen Krankheiten, die sie beschäftigten.

Bislang kein Lockdown in den Städten

Diese Wahrnehmung des Corona-Risikos kontrastiert stark mit jener in den Städten des Landes. Auch diese haben ihre ursprüngliche Vitalität verloren. Kaum mehr Verkehr, geschlossene Imbissbuden, Geschäfte, Restaurants, Hotels. In Dar es Salaam und oder Moshi beispielsweise herrscht in den noch offenen Lebensmittelläden und Märkten Maskentrag- und Handwaschpflicht sowie die 2 Meter-Abstandsregel.

Die Schulen wurden am 17. März geschlossen, Grossveranstaltungen wie am 1. Mai verboten. Die Regierung signalisiert aber teils widersprüchliche Signale, wobei sich Präsident John Magufuli und das Gesundheitsministerium teils auch heftig zu widersprechen scheinen: Religion gegen Wissenschaft.

Aufklärung der Gesundheitsbehörde im Web: Der Präsident aber empfiehlt den Kirchenbesuch | Screenshot

Aufklärung der Gesundheitsbehörde im Web: Der Präsident aber empfiehlt den Kirchenbesuch | Screenshot

Einig ist man sich jedoch beim Lockdown: Kommt für Tansania nicht in Frage, weil sich die zumeist auf Tageseinnahmen angewiesenen Familien nicht mehr ernähren könnten und das benachbarte Kenia damit heftige Proteste und Verzweiflung provoziert hatte.

«Corona ist der Satan!»

Pocht das tansanische Ministerium für Gesundheit – trotz fehlender Masken und Tests, teils geschlossener Krankenhäuser und kaum vorhandener Intensivstationen – ansonsten auf die Einhaltung der Regeln nach europäischem Vorbild, fährt der bekennende Katholik Magufuli schon mal mit metaphysischen Ansichten dazwischen. Sars-CoV-2 sei ein Werk des Teufels, zitieren die Medien den Doktor in Chemie: «Darum schliessen wir keine Kirchen. Nur dort gibt es wahre Heilung! Corona ist der Satan, aber im Körper Jesu wird er nicht überleben können!»

Deshalb seien drei Tage Beten angesagt, hielt Magufuli seine Landsleute an. Angesichts der überall fehlenden Diagnosemöglichkeiten und Anti-Corona-Mittel für die fast 57 Millionen EinwohnerInnen sind Glauben und Hoffnung zentrale Überlebenshilfen. Ein Grund, des afrikanischen Staatsführers «Heilmethode» nicht einfach nur zu verdammen.

Allerdings werden in den überquellenden Kirchen auch keine Abstände eingehalten, und so mutieren die Gotteshäuser mit dem Segen des Präsidenten zu Corona-Brutstätten der besonders teuflischen Art.

Überleben in Coronazeiten: Wenn Daheimbleiben zum Luxus wird| © Foto Ruedi Suter

Überleben in Coronazeiten: Wenn Daheimbleiben zum Luxus wird| © Foto Ruedi Suter

In den Städten herrscht die Angst

Bis Ende April meldeten das Festland und Sansibar mit ihren eingeschränkten Suchmethoden lediglich 480 Covid-19-Infizierte und 10 Tote. ExpertInnen sind sich jedoch einig, dass die Dunkelziffer sehr viel grösser sein müsse.

Jedenfalls herrscht in den Städten Angst. Selbst im Parlament in Dodoma oder in den Verwaltungen des Landes. Das kenianische Nachrichtenportal «Pulselive» meldete am 29. April, in den «letzten 72 Stunden» seien in dem (von einer Pressezensur geknebelten) Tansania über 10 Prominente mit hoher Wahrscheinlichkeit Covid-19 zum Opfer gefallen.

Worunter vor allem betagte Persönlichkeiten wie der einstige oberste Richter des Landes, Augustino Ramadhani. Gleichen Tags (29. April) wurde laut «The Citizen» in Arusha der prominente Anwalt Albert Msando festgenommen. Sein Vergehen: Er hatte öffentlich (und zutreffend) erklärt, die Corona-Seuche sei wohl «eine echte Gefahr für Arusha». Solches dürfe nur vom Premier- oder Gesundheitsministerium beurteilt werden, so die Begründung der Polizei.

Abstandhalten: Offizielle Information des tansanischen Gesundheitsministeriums | Screenshot

Abstandhalten: Offizielle Information des tansanischen Gesundheitsministeriums | Screenshot

Infizierte landen in Quarantänelagern

Ein Vorfall, der die Nervosität und Ratlosigkeit der Machthabenden verrät. Gleich wie die einer Verhaftung gleichende Wegführung möglicher Covid-19-Kranker durch Polizei oder Militär. Die Angehaltenen würden – so wird sich jetzt erzählt – in Krankenhäuser oder eben neuerdings auch in «Quarantänelager» gebracht, wo es unter anderem an Nahrung und Hygiene fehle.

«Wir sind alle im Survival-Modus», schildert in Arusha eine Tansanierin den Alltag in der vom Tourismus lebenden Stadt, wo die erste infizierte Person des Landes festgestellt wurde. In den Strassen seien hungernde Waisenkinder anzutreffen, die vor der Schliessung der Restaurants aus Barmherzigkeit jeweils etwas zum Essen erhalten hatten.

Das war einmal: «Kunst-Ausstellungen» entlang den Touristenrouten | © Foto Ruedi Suter

Das war einmal: «Kunst-Ausstellungen» entlang den Touristenrouten | © Foto Ruedi Suter

Mit Humor und Lachen gegen Bedrückendes

Die Menschen, so die Informantin weiter, seien zwar besorgt, im Allgemeinen aber freundlich, auch weissen Ausländern gegenüber, die sich in Arusha kaum mehr zeigen würden. Der vertrackten Situation mit dem ewigen Regen, den Erkältungen, der Seuche und ihren verwirrenden Folgen würden die Leute auch Humor und Lachen entgegengehalten – an den Strassenrändern etwa, wo die Frauen ihre Familien durchzubringen versuchen mit ein paar verkauften Maiskolben, Gemüse und Früchten.

Angesprochen auf die Ursachen der sich offensichtlich häufenden Todesfälle, antworteten die Verwandten und Bekannten auf eine typische Art: «Ame pata homa flani.» Die Person hatte eine Krankheit, ich weiss aber nicht welche. Oder: «Sijui ili kua mini.» Ich weiss nicht, was es für ein Leiden war.

Mit Initiativen aus der Patsche

Verglichen mit der in vielen Bereichen unklaren Situationen in den Städten, haben es die Wildhüter und Wildhüterinnen in den Nationalparks zurzeit noch wesentlich besser. Die Gefahr einer Ansteckung ist jedenfalls geringer. Und es gibt Initiativen, wenigstens ihre Arbeit abzusichern.

Lorna Labuschagne aus der Serengeti: «Wir haben mit den Reiseveranstaltern «Mission Possible Serengeti» gestartet. Mit dieser Kampagne versuchen wir Geld zu beschaffen, um zusammen mit den Tanapa-Rangern und dem Personal der Safari-Unterrnehmen in die verlassenen Gebiete zurückzukehren und dort wieder Präsenz zu markieren.»

Gespannte Schlinge entdeckt: Ranger in der Westserengeti | © Foto Ruedi Suter

Gespannte Schlinge entdeckt: Ranger in der Westserengeti | © Foto Ruedi Suter

Mit Flugzeugen und Motorrädern auf Patrouille

Damit wolle man nicht nur «die von uns erwartete Zunahme der Wilderei» stoppen, sondern auch jene Camp-Mitarbeitenden unterstützen, die aus den angrenzenden Serengeti-Siedlungen stammen und jetzt ohne Einkommen auskommen müssen.

Überdies finanziere die Zoologische Gesellschaft Frankfurt fünf mit Motorrädern betriebene Ranger-Patrouillen, um wenigstens stellenweise die Viehherden aus dem 14'000 Quadratkilometer grossen Nationalpark zu halten, Schlingen einzusammeln und Wilderer abzuwehren.

Mit zwei Flugzeugen wird die Lage aus der Luft kontrolliert, was auch der Sicherung der in den letzten Jahrzehnten wieder angewachsenen Serengeti-Nashornpopulationen dient.

Urbrocken der Serengeti: Verwaiste Touristenattraktion in den Moru Kopjes | © Foto Ruedi Suter

Urbrocken der Serengeti: Verwaiste Touristenattraktion in den Moru Kopjes | © Foto Ruedi Suter

Hoffen auf baldige Rückkehr des Tourismus

Die Nationalparks im Norden Tansanias sind gut zugänglich und wesentlich besser geschützt als die riesigen Schutzgebiete im Süden, welche mit weit weniger Personal, Finanzen und Material auskommen müssen.

Dort versucht man so gut wie möglich die Stellung zu halten – in der Hoffnung, ab Mitte Mai könnten frühestens wieder die ersten Safari-Touristen ins Land kommen und die Kassen der Schutzbehörden füllen helfen. Ob dies das neue Corona-Virus zulassen wird? Doch auch bei dieser Frage winkt vorderhand keine erlösende Antwort, die eine Entwarnung signalisieren könnte.

Versackt in der Serengeti: Am 3. Mai 2020, Dienstfahrzeug| © Foto Gian Schachenmann

Versackt in der Serengeti: Am 3. Mai 2020, Dienstfahrzeug| © Foto Gian Schachenmann

Allgemein sehen Afrikas Schutzgebiete und ihre letzten Wildtiere so schweren wie gefährlichen Zeiten entgegen. Ein Grund mehr für die Artenschutzorganisationen, ihre Anstrengungen auch für das Überleben der afrikanischen Fauna und Flora massiv zu verstärken.

Titelbild: Zebras in der West-Serengeti, Corona-Virus | © Foto + Montage R. Suter
*
3. Mai: Diverse Ergänzungen des Berichts.

***

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Neuer «Nyerere-Park» killt Selous-Weltnaturerbe

Guest User

Das grossartige Selous-Weltnaturerbe der Unesco im Süden Tansanias ist in seiner jetzigen Form als eines der grössten Wildschutzreservate der Welt bald Vergangenheit. Die tansanische Regierung unter John Magufuli trennt im Eilverfahren einen Teil ab und bastelt aus ihm den «Nyerere-Nationalpark».

Überraschen kann das kaum: Im Selous sind Minen-, Holz- und Bauunternehmen schon am Graben, Abholzen und Errichten eines Mega-Damms. Allerdings sehen nicht alle nur schwarz. Gleichzeitig hat heute das Parlament mit der Gründung zweier weiterer Nationalparks deren Zahl auf insgesamt 24 erhöht.

«Innerhalb weniger Tage und ohne nennenswerte Planung hat die Regierung von Tansania entschieden, aus dem bisher über 50’000 Quadratkilometer grossen Selous-Wildreservat 31’000 Quadratkilometer herauszuschneiden. Dieser Teil wird der Nyerere-Nationalpark». Das meldete der deutsche Selous-Spezialist Rolf D. Baldus heute dem Verein der Freunde Serengeti Schweiz (FSS).

Das Parlament habe den Vorschlag einstimmig angenommen. Als Begründung seien ein besserer Schutz der Wildtiere und höhere erwartete Einnahmen durch den Tourismus angegeben worden.

Baldus, der sich seit über 30 Jahren mit dem Selous befasst und sechs Jahre lang im Reservat selbst arbeitete, zeigt sich skeptisch: «Dies könnte eine Bauchlandung werden, da sich der grösste Teil des neuen Nationalparks nur bedingt für Fototourismus eignet.» Dieser habe sich bislang nicht einmal in den attraktiven und seit 20 Jahren jagdfreien Gebieten im Norden des Reservats (Kinjanguru und Matambwe) entwickeln können.

Happige Jagd-Einnahmen für den Wildschutz werden fehlen

Der Selous war bislang ein Wildreservat, dessen Wildbestand sich – neben dem eher bescheidenen Fototourismus – auch dank der Einnahmen aus der Jagd schützen liess.

Ein grosser Teil dieses Geldes werde auch nicht mehr hereinkommen. Denn statt der bislang 40 Jagdblocks wird es laut Rolf Baldus in Zukunft nur noch 10 in den Sektoren Kingupira und Miguruwe im Osten des bisherigen Selous Wildreservats geben.

Ende eines UNESCO-Weltnaturerbes: Start zum Dammbau im Selous | © Foto by Ndege

Ende eines UNESCO-Weltnaturerbes: Start zum Dammbau im Selous | © Foto by Ndege

Chancen durch die Parkgründung nicht ausgeschlossen

Optimistischer ist da Markus Borner, der ehemalige Afrika-Verantwortliche für die ebenfalls im Selous engagierte Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF).

Borner, der als Nachfolger von Bernhard Grzimek viele Jahre in Tansania lebte, die nationale Schutzpolitik wesentlich mitprägte und damals bereits einen Plan für die Umwandlung des Selous in einen Nationalpark entwarf, erklärte gegenüber dem FSS: «Ein Nationalpark könnte auch die Chance sein, den Kern des Selous zu erhalten. Wenn der Stausee und die umgebenden Gebiete unter dem Nationalpark-Status geregelt sind, so könnten - nach meiner Ansicht - das Gebiet viel besser kontrolliert und die Langzeit-Schäden des Dammes reduziert werden.»

Ungewisse Zukunft mit vielen Fragen

Der neue, aus dem Selous herausgeschnittene Park wird nach dem «Vater der Nation» benannt – dem früheren Präsidenten Julius Nyerere, soll der nationalen Parkbehörde «Tanzania National Parks» (TANAPA) unterstellt werden.

Von den bislang 22 Nationalparks des Landes erwirtschaften laut Baldus nur gerade drei (Kilimandscharo, Serengeti und Tarangire) Überschüsse. Die anderen schreiben rote Zahlen. Der Nyerere-Nationalpark wird nun zum grössten des Landes.

Ob die Nationalparkbehörde, finanziell und personell chronisch unterdotiert, die neue Belastung stemmen kann, ist Experten zufolge mehr als fragwürdig. Laut Baldus habe hingegen der einst im Selous erwirtschaftete Jagdtourismus «hohe Überschüsse» eingefahren.

Was die tansanische Regierung genau antreibe, sei «undurchsichtig». Der sich im Bau befindliche Mega-Staudamm im Herzen des Selous, der weltweite Proteste auslöste, wurde ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und wirklich abgesicherte Finanzierung gestartet. Mitarbeitende des FSS überflogen Ende August das Baugebiet wie auch Teile der von Soldaten durchgeführten Abholzungen. 1’000 Quadratkilometer sollen insgesamt den Kettensägen zum Opfer fallen – die zurzeit weltweit grösste Waldvernichtung.

Angriff auf den Trockenwald des Weltnaturerbes: Umgehauene Bäume (bläulich) | © Foto by Ndege

Angriff auf den Trockenwald des Weltnaturerbes: Umgehauene Bäume (bläulich) | © Foto by Ndege

Rolf Baldus verweist überdies auf «geheime» Planvorhaben der Regierung für den Selous. Dazu gehörten ein teils geteertes Strassennetz sowie mehrere Brücken, beide nutzbar für den Fernverkehr. «Das Gebiet wird damit seinen Wildnischarakter verlieren», prophezeit Baldus.

«Es steht zu befürchten, dass der autokratisch regierende Präsident Magufuli, der die Entwicklung seines Landes durch Grossprojekte beschleunigen will und für Umweltschutz wenig übrig hat, das riesengroße Schutzgebiet verkleinern will, um an die vorhandenen Bodenschätze – Gold, Uran, Diamanten, seltene Erden, Erze – heranzukommen. Für den Selous sind – anders als manche jetzt erhoffen – düstere Zeiten angebrochen.»

Tansania im Nationalpark-Gründungsfieber

Wie inländische Medien am heutigen 11. September 2019 mitteilen, hat Tansanias Parlament zwei weitere Nationalparks aus der Taufe gehoben – den «Kigosi-» (Shinyanga-Tabora-Region) und den «River-Ugalla-Nationalpark» (Zentral-Tansania). Beide Gebiete waren bislang Wildschutzgebiete, die vor allem von Jagdeinnahmen lebten.

Hamis Kigwangallah, der zuständige Minister für Bodenschätze und Tourismus, zeigte sich als Tansanier stolz, derart viele Gebiete als Nationalparks ausweisen zu können. Mit den nun insgesamt 24 Nationalparks gehöre Tansania auf der Skala der Nationalparks definitiv zur Weltspitze.

FSS-Präsident Schläpfer sieht die Nationalpark-Euphorie auch kritisch

FSS-Präsident Adrian Schläpfer anerkennt den Willen der tansanischen Regierung, einen wesentlichen Teil des ostafrikanischen Landes unter Schutz zu stellen. Allerdings ist der ehemalige Schweizer Botschafter in Tansania über das «äusserst rasche Vorgehen» und die ungenügende Prüfung der Umweltverträglichkeit beim Dammbau in der Stieglers-Schlucht des Selous-Weltnaturerbes besorgt.

Schläpfer fragt sich überdies, ob im «Nyerere-Nationalpark» wie auch in den beiden anderen neuen Parks genügend Ranger und Finanzen vorhanden sein werden: «Wir hoffen angesichts der bereits in der Serengeti fehlenden Ressourcen, dass in den neuen und riesigen Schutzgebieten auch das notwendige Geld für den Einsatz zusätzlicher Wildhüter, für ihre Ausrüstung, den Wagenpark und die ganze Infrastruktur zur Verfügung stehen wird. Denn ohne den professionellen Schutz sind die neuen Nationalparks rasch leer gewildert.»

r.s. | rdb | fss

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Bald Safaris ohne Plastikmüll?

Guest User

Selbst der «Natur-Kontinent» Afrika mit seinen Wildtieren droht im Plastik zu ersticken. Etliche Länder haben den endlos scheinenden Kampf gegen den kaum abbaubaren Kunststoff aufgenommen. So auch Tansania, das ab jetzt Reisenden mit Plastiktüten die Leviten lesen will.

Plastik, Plastik, überall Plastik. Plastikabfall am Boden, Plastikpartikel im Wasser, Plastiksäcke in den Baumkronen, vom Wind in die Äste geweht, Mikroplastik im Essen, in den Mägen der Wildtiere und der Menschen, kurzum – kaum mehr ein Plätzchen auf dieser Erde ohne Plastik. Auch im einst so wilden und weitläufigen Naturkontinent Afrika nicht, was im Magazin «Habari» schon vor Jahren thematisiert wurde.

Steht dem Menschen die Plastikflut am Hals, sollte er zu handeln beginnen.

In Afrika ist man da in gewissen Gebieten schon vorbildhaft initiativ. Immer mehr Länder erklären den Plastik zum Staatsfeind. Zum Beispiel in Ghana, Uganda, Marokko und Eritrea. Selbst im kriegszerrütteten Kongo-Kinshasa versucht im Osten die Stadt Goma ein Verbot umzusetzen.

Auch Tansania wacht auf

Im nahen Tansania hat sich in dieser Woche die Regierung ebenfalls durchgerungen, dem gewaltigen Plastikproblem vermehrt den Kampf anzusagen. So veröffentlichte das Büro des Vizepräsidenten am 16. Mai 2019 eine «Notiz an die Reisenden, welche Tansania besuchen möchten».

Die Weisung fordert, keine Plastiktragtaschen und Ähnliches mehr mitzuführen: «to avoid carrying plastic carrier bags or packing plastic carrier bags or items in plastic carrier bags...». Wer dennoch so etwas mitbringe, müsse es bei seiner Ankunft abgeben. In besonderen Fällen können Ausnahmen gemacht werden. In seiner Notiz (siehe unten) versichert das Büro des Vizepräsidenten, die Umwelt schützen zu wollen, «um unser Land sauber und schön» zu halten.

Ist der Plastikmüll noch zu bewältigen?

Doch vor allem um Städte und Dörfer ist nichts mehr «sauber gehalten». Dass es dazu noch gigantische Anstrengungen braucht, ist auf Anhieb überall sichtbar. Und dass Plastik nicht nur in Einkaufs- und Tragtüten, sondern heute in fast jedem Gebrauchsgegenstand, in der Bauindustrie, Landwirtschaft und Autoindustrie beispielsweise verwendet wird, sieht sich Afrika wie die ganze Welt bei der Eliminierung des Erdölprodukts Plastik vor einer womöglich unlösbaren Aufgabe gestellt.

Eingedämmt werden aber kann wenigstens das «Plastifizieren» des Planeten.

Nicht zuletzt in Afrika, wo Kenia 2017 ein strenges Kein-Plastik-Gesetz erliess. Wer sich da noch an einer Plastiktüte vergreift, kann für vier Jahre ins Gefängnis wandern. Oder PlastiksünderInnen müssen bis zu 40 000 US-Dollar hinblättern.

Ruanda macht der Schweiz etwas vor

Den konsequentesten Plastik-Bann haben aber die Menschen Ruandas umgesetzt. Seit Jahren schon wird – dank klarem Gesetz und guten Kontrollen mit harten Strafen – auf den Umweltkiller Plastik verzichtet.

Mit verblüffendem Erfolg, melden uns Reisende aus Ruanda. Das Land sei vielerorts sauberer als die Schweiz, das dem Kunststoff auch mangels Alternativen immer noch kräftig zuspricht – und in dem Kühe und Wildtiere zuweilen an verspeistem Plastikmüll sterben. fss

Titelbild: Kollage – Impalaherde mit alter Blumenzucht-Anlage und zerschlissenem Sondermüll-Plastik, von denen es viele hat in Ostafrika | © Fotos by R.Suter

Das Schreiben aus dem Büro des tansanischen Vizepräsidiums:

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Übervölkerung: Schutzgebiete Tansanias in Frage gestellt

Guest User

Eine für Tansania und die Welt folgenschwere Entscheidung hat Staatspräsident John Magufuli getroffen: Der Status der Schutzgebiete und ihre Existenzberechtigung sollen überprüft werden, um der schnell wachsenden Bevölkerung und ihren Rinderherden mehr Lebensraum zu schaffen. Für Tierwelt und Tourismus ein denkbar schlechtes Omen, meint auch unser Kommentar.

Die vielen Schutzgebiete Tansanias geraten weiter unter Druck. Staatspräsident John Magufuli hat bei einem Ministertreffen von gestern Dienstag in Dar es Salaam den sofortigen Stopp der Vertreibung illegaler Siedler in Naturschutzgebieten angeordnet. Überdies gab er neue Richtlinien bekannt. Diese sollen dem schnellen Bevölkerungswachstum entgegenkommen – das zu Lasten der Schutzgebiete.

So sollen Nationalparks und Wildreservate jetzt genau unter die Lupe genommen werden, so melden heute tansanische Medien. Dort, wo «keine Wildtiere» mehr zu sehen seien, soll der Boden landlosen Bauern und Hirten zur Verfügung gestellt werden.

«Ich bin nicht glücklich»: John Magufuli gibt seine Anweisungen | © Screenshot von «The Guardian»

«Ich bin nicht glücklich»: John Magufuli gibt seine Anweisungen | © Screenshot von «The Guardian»

«Ich bin nicht glücklich darüber, dass Viehzüchter überall abgelehnt werden» zitiert «The Guardian» John Magufuli im Zusammenhang mit dem Vertreiben der Rinderherden aus den Schutzzonen. «Gibt es ein Naturschutzgebiet, das nicht genutzt wird, werden wir das Gesetz ändern und es an Viehzüchter und Bauern verteilen.»

Dasselbe gelte für Waldschutzgebiete mit fruchtbarem Boden und ohne nennenswerten Baumbestand, die Landwirten für den Anbau von Pflanzen übergeben werden sollen. Zu prüfen sei überdies der womöglich übertriebene Schutz der Wasserquellen. Der an den Flüssen lebenden Bevölkerung solle so das Leben erleichtert werden.

Die neuen Vorgaben aus Dar es Salaam lassen Alex Rechsteiner, Afrikadelegierter der Nichtregierungsorganisation «Freunde der Serengeti Schweiz (FSS)», Schlimmes befürchten: «Das ist vor allem für einige der abgelegenen Schutzgebiete der Anfang vom Ende.»

«Weises» Vorgehen gefordert

Das Ministerium für Naturressourcen und Tourismus wurde angewiesen, bei der Überprüfung der Schutzgebiete «weise» vorzugehen – und die weniger wichtigen Zonen den Menschen zur Nutzung zu überlassen. Gestoppt ist nun auch der Rauswurf von 366 Dörfern, die sich illegal in Schutzgebieten breit gemacht haben. Innert eines Monats soll dem Parlament eine neue Beurteilung unterbreitet werden.

Staatsoberhaupt Magufuli begründete die ins Auge gefassten Änderungen im Beisein von Hamisi Kigwangalla, dem Minister für Naturressourcen und Tourismus, von Generalsekretär John Kijazi, Abdallah Ulega, stellvertretender Minister für Vieh und Fischerei, Dorothy Mwanyika, Staatssekretär im Ministerium für Land, Wohnen und Siedlungen sowie weiteren hohen Beamten.

Futterkonkurrenz der Wildtiere: 10 Millionen Rinder | © Foto by Gian Schachenmann

Futterkonkurrenz der Wildtiere: 10 Millionen Rinder | © Foto by Gian Schachenmann

Mehr Menschen, mehr Rinder brauchen mehr Land

John Magufuli, der sich kürzlich entschieden gegen die Schwangerschaftsverhütung ausgesprochen hat, verteidigte sein Vorgehen mit dem Argument, die Zahl der Menschen und Tiere in Tansania sei massiv angestiegen.

Tatsächlich bevölkerten 1961 beim Erreichen der Unabhängigkeit etwa 9 Millionen Menschen und 10 Millionen Rinder das Land. Heute sind es über 55 Millionen Menschen und 35 Millionen Rinder – und Tansania hat mit rund fünf Kindern pro Frau eine der höchsten Geburtenraten der Welt.

Doch dem starken Bevölkerungswachstum werden keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil, der Präsident verteufelt die Geburtenkontrolle. Den Bürgern und Bürgerinnen, von denen schätzungsweise die Hälfte unter der Armutsgrenze leben, befahl er letzten September 2018, jeder Empfängnisverhütung zu entsagen. fss

Kommentar

Weniger Naturschutz, mehr «Entwicklung»

Das neue Vorgehen des Präsidenten ist noch schwer zu beurteilen. Denn in jüngster Vergangenheit ging die Regierung noch mit harter Hand gegen illegale Siedler und Rinderherden in Nationalparks wie die Serengeti vor.

Dörfer innerhalb der Parkgrenzen wurden abgefackelt, Rinderherden konfisziert, Strafen verhängt. In Schutzgebieten wie Moyowosi, Kigose und Makere sollen sich überdies «Ausländer» niedergelassen haben, die jetzt zu weichen haben.

Präsident Magufulis Regierungsstil wird unterdessen oft als widersprüchlich, autokratisch und radikal kritisiert – zu wenig durchdacht und auf die Schnelle nicht umsetzbar, auch wenn vieles gut gemeint und sinnvoll sei.

Verwundert nimmt man etwa zur Kenntnis, dass die Regierung eben gerade die Schaffung des 26 Quadratkilometer grossen Magombera-Waldschutzgebiets im Kilombero-Distrikt beim Selous-Weltnaturerbe umgesetzt hat. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhundert wurde versucht, diesen artenreichen Wald zu schützen.

Magufuli wirkt widersprüchlich, bekannte er sich doch auch zur einheimischen Fauna: «Wir sind auch auf die Wildtiere angewiesen. Ich meine auch nicht, dass wir alle Nationalparks unseres Landes neu definieren sollen. Wir müssen die aktiven Schutzgebiete erhalten.»

Über einen fatalen Trend mag dies aber nicht hinwegzutäuschen: Das Staatsoberhaupt mit dem Übernahmen «Bulldozer» will den Naturschutz zurückbinden. Er legt sein Hauptgewicht auf die schnelle Wirtschaftsentwicklung des Landes – bislang ein globaler Champion im Naturschutz, weil fast ein Drittel seiner Fläche unter Schutz steht.

Diese zumeist rohstoffreichen Naturreserven sind jedoch längst schon im Visier internationaler Konzerne, zunehmend chinesischer Herkunft. Das scheint Magufuli als ehemaliger Bauminister mehr zu faszinieren als die Zukunftssicherung des für das Land bislang lebenswichtigen Tourismus, der ohne Fauna einbrechen wird.

Wie es weitergehen könnte, zeigt das älteste Wildschutzreservat Afrikas – der Selous. Ungeachtet weltweiter Proteste ist die Regierung entschlossen, in diesem Unesco-Weltnaturerbe Uran abzubauen, Wälder abzuholzen und einen gigantischen Staudamm hochzuziehen ­– mit unabsehbaren Folgen für die Wildtiere und das Ökosystem.

Die Zeiten des breitflächigen Naturschutzes in Tansania scheinen gezählt – vor allem nach den neusten Ankündigungen seines populistischen Präsidenten, dem weiteres Bevölkerungswachstum und Industrialisierung am Herzen liegen. Es ist auch ein fatales Signal an andere afrikanische Staaten, die mit der Öffnung ihrer letzten Schutzgebiete schnelles Geld machen wollen. Verlierer wird – einmal mehr – die Artenvielfalt mit ihren Tieren und Pflanzen sein. rs

Titelbild: Flamingos über Tansania |  © Foto by Gian Schachenmann

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Touristen Achtung: Gefängnis für Besitz einer Vogelfeder

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Derzeit setzt Tansania seine Gesetze rigoros um. Auch den Wildlife Act. Wer demnach eine Muschel, eine Vogelfeder, einen Zahn oder sonst ein Tierteil ohne Bewilligung besitzt, dem drohen schwerste Gefängnisstrafen.

Dar-es-Salaam, 13. Dezember 2018 – «Sie sind verhaftet!» Den Satz können heute selbst Touristen oder Touristinnen zu hören bekommen, wenn tansanische Beamte bei ihnen bislang als harmlos eingestufte Souvenirs wie beispielsweise eine Muschel oder Vogelfeder finden. Was folgt, sind Gerichtsurteil, hohe Geldbussen und langjährige Gefängnisstrafen.

Denn jeder Teil eines toten Tieres, der gefunden wird, ist gemäss dem jetzt strikte umgesetzten Wildlife Act eine Regierungstrophäe. Das bedeutet: Allein deren Besitz ist strafbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Tierteil gefunden oder ohne Nachweispapier erworben, ob ein Tier gewildert oder gefangen wurde. Wer erwischt wird, dem drohen mindestens 20 bis maximal 30 Jahre Gefängnis. In bestimmten Fällen kommt noch eine happige Geldbusse hinzu.

Radikales Vorgehen

Dabei wird weder zwischen Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft unterschieden. Zahlreiche Afrikaner, aber auch Touristen sind bereits verurteilt und ins Gefängnis gesteckt worden. Die Regierung des seit 2015 waltenden John Pombe Joseph Magufuli geht radikal gegen die Korruption und gegen jede Art von echten oder vermeintlichen Betrügereien vor – mit erfreulichem Erfolg, aber auch mit folgenschweren Exzessen.

Staatseigentum Flusspferdzahn, Hippo-Unterkiefer | © Foto by Raul654

Staatseigentum Flusspferdzahn, Hippo-Unterkiefer | © Foto by Raul654

Das grosse Aufräumen hinterlässt oft tiefe Spuren, weil gewachsene Strukturen ersatzlos eingerissen werden und eine Unzahl von Menschen plötzlich ohne Erwerbsmöglichkeiten dastehen. Im Bereich des Wildschutzes hat sich laut Beobachtern die Situation bei der Bekämpfung der Wilderei und des illegalen Wildtierhandels gemäss Kennern aber spürbar gebessert.

Willkürliche Strafen ohne Realitätsbezug

Dabei berufen sich die Behörden vermehrt auf die Landesverfassung. Ihr nach gehört die Natur einzig dem Staat. Wer ohne Genehmigung beispielsweise Schädel, Knochen, Zähne, Klauen, Vogelfedern, Felle, Muscheln, Hölzer oder auch nur Steine mit sich führt, der macht sich automatisch strafbar. Er oder sie können von Polizei und Zoll verhaftet werden.

Rätselhaft bleibt jedoch oft, nach welchen Kriterien die Richter ihre Urteile fällen. So erhielt beispielsweise der international agierende Moniface Matthew Maliango – im Volksmund «Shetani» (Der Teufel) genannt – einen vergleichsweisen kurzen Freiheitsentzug. Der Töter tausender Elefanten, Elfenbeinschmuggler und Chef eines weit verzweigten Verbrechersyndicats erhielt nur gerade 12 Jahre Knast.

Sammeltrieb kann zu Jahrzehnten Gefängnis führen

Ein Klacks gegen die 20 Jahre Haft und die unbezahlbare Geldstrafe, mit der Emmanuel Richard fertig werden muss. Der junge Fahrer wurde mit fünf Flusspferd-Zähnen festgenommen, für die er keine Genehmigung hatte. Zwei Dekaden Knast für Zähne, deren Kilopreis 3.90 Franken beträgt, ist der Gipfel der Absurdität.

In tansanischen Gefängnissen sind auch Insassen versenkt, die schon Jahrzehnte einsitzen. So warnen wir an dieser Stelle alle Touristen und Touristinnen in Tansania, unbedingt ihren Sammeltrieb unter Kontrolle zu halten und sich genau zu überlegen, was im Reisegepäck verstaut werden soll. Denn heil aus den heillos überfüllten Gefängnissen zu kommen, ist alles andere als garantiert – allein schon der Krankheitskeime oder der arg belasteten Psyche wegen nicht. fss

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