Wie Peter Beard das Krokodil ins All rettete

Afrika verzauberte seine Seele. Er war Starfotograf, Künstler, Schreiber, Lebemann und ein einfallsreicher Dokumentalist des Niedergangs der ostafrikanischen Tierwelt – Peter Hill Beard, der eigensinnige Amerikaner aus New York.

Seine unvergleichlichen Fotowerke gingen um die Welt – und eines reist nun im Raumschiff Voyager 2 durch das Universum, um andere Zivilisationen auf die Erde und die Wiege der Menschheit aufmerksam zu machen. Auch der greise Peter Beard hat nochmals auf sich aufmerksam gemacht – er blieb fast drei Wochen verschwunden. Nun wurde seine Leiche gefunden, in einem Dickicht in East Hampton (New York).

Von Ruedi Suter - FSS

Basel, 20. April 2020 - Hätte er nicht mit 82 Jahren an Demenz gelitten, hätte man sein nur wenige Stunden vor dem 1. April 2020 bemerktes Verschwinden zunächst als einen seiner Streiche oder als die letzte Aktion eines eigenwilligen Künstlers interpretieren können.

Aber Peter Hill Beard, dieser vielseitige Fotograf, Künstler, Schreiber, Naturschützer und Afrikabeobachter der kreativen Art, blieb bis gestern Sonntag verschwunden. Kam von einem Spaziergang einfach nicht mehr zurück, heim zu seiner Frau Nejma Beard und in sein Haus in Montauk auf Long Island, wo im 17. Jahrhundert noch die Montauk-Indianer lebten.

Man hat Ausschau gehalten, nach dem schlurfenden Alten. Polizisten, Feuerwehrleute und Ranger haben ihn gesucht, sogar mit Hunden und Helikoptern, haben auch Grundstücke, Dickicht und die Küste abgesucht. Aber man hat ihn nicht gefunden, den Abenteurer, der öfters dem Tod ins Auge sah und dem das Glück insgesamt hold war in seinem Leben.

Faszinierender Zeitzeuge verschwunden

Beinahe drei Wochen später wissen wir: Peter Beard lebt nicht mehr, er hat in einem Dickicht von East Hampton seine letzte Reise angetreten. Er hat sich nicht, wie auch gemutmasst wurde, von der nahen, 50 Meter hohen Klippe seines Grundstücks in den Atlantik fallen lassen. Unweit von New York City, wo er am 22. Januar 1938 als Sohn begüterter Eltern zur Welt kam.

Buchtitel diverser Werke: Links der junge Beard, rechts Märchenbuch für die Tochter © Fotos by Peter Beard

Mit Beard hat ein faszinierender Zeitzeuge unsere gerade von einer Virusseuche still gelegten Welt verlassen. Fotograf Beard war ein Privilegierter, ein Jetsetter, ein Abenteurer auch. Aber nicht zu vergleichen mit dem Kollegen Sebastião Ribeiro Salgado, dessen soziales Engagement der Welt auf eindrücklichste Weise zeigte, was Kriege kaputt machen und der kein Risiko scheute, um auch das Leben der abgeschiedensten Völker dieser Erde zu dokumentieren. Beide jedoch wurden durch das, was sie sahen, zu Umweltaktivisten.

Beard hat eher das Leben genossen. Er war vielseitig interessiert und bezog mit der Zeit auch Stellung für die Bewahrung der Natur, indem er seinen Talenten via die einmalige Kombination verschiedener Ausdrucksmittel freien Lauf liess.

Bedeutende Kunstschaffende als Freunde

Als junger Mann studierte Beard an der Yale Universität Kunst, um dann laut eigener Aussage das Gelernte schnellst möglich wieder zu vergessen: «Mein ganzes Leben war geprägt von der Flucht vor der Kunstakademie. Diese lehrt einen genau das Gegenteil von Kunst. Ich bin der Auffassung, man soll Dinge einfach tun und ausprobieren, ohne viele Gedanken vorher darüber zu verschwenden.»

Entsprechend bestand sein Freundeskreis aus eigenwilligen Künstlerinnen und Künstlern, die er als Fotograf auch porträtierte. Genannt werden Namen wie Francis Bakon, Truman Capote, David Bowie, Mick und Banca Jagger, Jacqueline Onassis oder Andy Warhol und der Schauspieler Alec Baldwin. Beard, der schon früh Tagebuch schrieb, hatte bald Erfolg – als Modefotograf. Die damals in der Modefotografie dominierende Ästhetik von Körpern und Textilien verband er später in seinen Bildbänden über Afrika mit einer Ästhetik des Sterbens, des Todes und des Zerfalls.

Aus jeder Perspektive: Bücherauswahl von Fotograf Peter Beard | © Fotos by Peter Beard

Lebemann mit Engagement

Der Welt der Mode blieb er verbunden – und verhalf Afrika, sich in der von weissen Mannequins dominierten Branche einen Platz zu sichern. Mit der Somalierin Iman Abdulmajid, die in den USA als Model und Schauspielerin Karriere machte und David Bowies Ehefrau wurde.

In Nairobi trafen sich Beard und der Schweizer Filmer und Umweltjournalist Karl Ammann mehrmals im Restaurant «Carnivore», um über das gemeinsame Anliegen «Rettung der Wildtiere» zu reden.

«Peter ging den Dingen auf den Grund und dokumentierte eingehend Umweltverbrechen wie etwa die Elefantenwilderei», erinnert sich der seit Jahrzehnten in Kenia lebende Ammann gegenüber dem FSS. «Er war aber auch ein Lebemann, um den beispielsweise nach der Lancierung von Iman als Fotomodell viele Somalierinnen schwärmten. Peter war jedenfalls eine vielschichtige Persönlichkeit.»

FSS-Mitglied Pedro Schachenmann, Tierarzt und in den 1970ern jahrelang im Dienste der kenianischen Regierung für die Massai-Herden zuständig, sind Beard’s Bilder oftmals zu «schockierend oder abstossend brutal». Schachenmann, der gegen 30 Jahre in Kenia und Tansania verbrachte und selber fotografiert, kennt Beard’s Foto-Jagdgründe aus eigener Warte.

Er zieht die Fotobände des englischen Forschers und Fotografen Wilfred Thesiger (1919-2003) vor, da diese «die Schönheit der Eingeborenen und der Landschaften» besser unterstreiche. Beards Bestreben war natürlich, den Schönheiten ihre Gegensätze entgegenzustellen.

Mit dem Urenkel Darwins nach Kenia

Bereits als 17-Jähriger hatte Peter Beard die Chance nach Kenia zu reisen. Dies zusammen mit dem Forscher und Schriftsteller Quentin Keynes (1921-2003), einem Urenkel Charles Darwins.

Den Ausschlag zur Reise soll die Lektüre seiner späteren Freundin Karin Blixen («Jenseits von Afrika») gewesen sein. Jedenfalls liessen die Erde, die Luft und das Licht Afrikas den Amerikaner nie mehr los. Er sollte immer wieder nach Ostafrika zurückkehren.

In den siebziger Jahren konnte er sich dank einer Sondererlaubnis von Kenias Präsident Jomo Kenyatta neben Karin Blixen die Hog Ranch kaufen, um laut eigener Aussage für eine Dokumentation «die lokale Fauna, Flora und die Menschen zu beschreiben, zu fotografieren und zu filmen».

Hier fasste er Fuss, um vorab an den Ufern des Lake Turkana und im Tsavo-Nationalpark zu einem der eindrücklichsten Zeugen der geschundenen Tierwelt und bedrängten Kleinvölker wie die El Molo, Turkana, Rendile, Borana oder Samburu zu werden.

Fütterung der Langhälse: Farmbesitzer Beard auf seiner Hog Ranch in Kenia |© Foto by Peter Beard

Afrikas Faszination zwischen Buchdeckeln

Das tat er sehr eigenwillig und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmitteln. So entstanden seine berühmten Collagen aus Schwarz-Weiss-Fotos mit Zeichnungen, Malereien mit Farben und Tierblut, handschriftlichen Notizen, Zeitungsausschnitten und historischen Darstellungen – detailgenaue, kunstvolle und oft auch erschreckenden «Dokumentationen».

Sein Meisterwerk ist wohl der Fotoband «The End of the Game» («Das Ende der Wildtiere»). Obwohl bereits 1965 publiziert, hielt ich den Band erst Mitte der achtziger Jahre in einer Buchhandlung in Nairobi zum ersten Mal in der Hand. Noch nie hatte ich eine derart faszinierende, weil in seiner Gegensätzlichkeit aus dem Rahmen fallende Dokumentation über die Wildnis Afrikas gesehen.

Beard hatte es für mich fertig gebracht, Leben und Tod, Freude und Trauer, Sinnlichkeit und Vitalität wie auch Schönheit und Schrecklichkeit der ostafrikanischen Wirklichkeiten auf noch nie gesehene, nüchterne, persönliche und überraschende Weise zwischen zwei Buchdeckel zu bringen.

«Wir sind Feinde der Natur»

«The End of the Game» wurde zum Bestseller. Wer ihn zur Lektüre nahm, erfasste sofort, was in Afrika mit der Vernichtung von Tier- und Pflanzenwelten und den mit ihnen lebenden Ethnien auf dem Spiel stand. Und dass es so nicht weitergehen konnte, mit dem masslosen Umbringen von Elefanten, Nashörnern, Löwen, Krokodilen und all den anderen Wildtieren. Die meisten seiner Bilder mit gewilderten Elefanten nahm er im kenianischen Tsavo-Nationalpark auf.

Faszinierend-erschütterndes Meisterwerk: Der Band «Das Ende des Wildes» | © Foto by Peter Beard

Ein Effekt, den der immer mehr zum «Umweltkunstaktivisten» mutierende Beard auch mit seinen anderen Bildbänden, seinen Fotos und Filmen provozieren wollte. Allerdings weitgehend erfolglos. 2008 schrieb er wütend, in Kenia spiele sich unter den Augen «krimineller» Regierungsverantwortlicher eines der «grössten Desaster in der Geschichte des Naturschutzes ab». Eine Feststellung, die auch auf andere einst wildreiche Länder Afrikas zutraf. «Wir sind Feinde der Natur!» folgerte der Amerikaner schliesslich gegenüber den «Financial Times» .

Wehmut auslösende Werke

Unvermeidlich war, dass Beard bei seiner abenteuerlichen Arbeit im Busch öfters sein Leben riskierte. 1996 kam er an der Grenze zu Tansania einer zuvor beschossenen Elefanten-Leitkuh mit Jungen in die Quere. Sie rannte dem fliehenden Fotografen nach und brachte ihn zu Fall. Eine klaffende Wunde und zersplitterte Hüfte waren die Folge.

Jetzt hat sich Peter Beard, der mehrfach verheiratet war und seiner Tochter Zara einen Band widmete {«Zara Tales») , mit grosser Wahrscheinlichkeit nahe seines Geburtsortes auf dem einstigen Land der Indianer in die Ewigen Jagdgründe aufgemacht. Er hinterlässt ein Werk, das an ein verschwundenes Afrika erinnert. Und das Wehmut aufkommen lässt, weil es uns heute schon daran erinnert, was die Menschheit bis jetzt an unschätzbarem Wert und nicht mehr wiederkehrenden Naturschönheiten zerstört hat.

Ein Krokodil im Weltall

Sätze wie dieser werden uns verfolgen: «Je tiefer der weisse Mann in Afrika eindrang, desto schneller floss das Leben aus dem Kontinent heraus, aus den Ebenen und aus dem Busch – es verschwand in Unmengen von Trophäen, Fellen und Kadavern.»

Bilder einer verflossenen Zeit: Mann und Krokodil am Turkanasee | © Foto by Peter Beard

Ausserirdische, sollte es tatsächlich welche geben, die auf das Raumschiff Voyager 2 der NASA von 1977 stossen und dessen Inhalt studieren, werden auf zwei vergoldeten Datenplatten Töne und Bilder unserer Zivilisation stossen. Carl Sagan, der weitsichtige Astronom, hat sie sorgfältig ausgewählt, um den Extraterrestrischen zu beweisen, dass es uns Menschen ebenso gibt wie unsere Mitwesen, die Tiere und Pflanzen. Eines dieser Bilder hat Peter Beard geschossen – ein mächtiges und auf dem Rücken liegendes Krokodil mit weissem Bauch, aufgenommen in ostafrikanischen Grabenbruch – der «Wiege der Menschheit».

Titelbild: Antilopen-Gemälde von Peter Beard | © Foto Peter Beard – Homepage Peter Beard

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